Experten-Interview mit E-Commerce-Berater Dipl.-Kfm. Peter Wagner

Der Betriebsberater und stellvertretende Leiter der SABU-Abteilung Mitgliederservice blickt auf die gemachten Erfahrungen des vergangenen Jahres zurück und gibt wichtige Tipps für alle am Online-Handel Interessierte.

 

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Frage 1:
Seit 1. Januar 2019 sind Sie E-Commerce-Berater für die SABU-Händler. Warum hat die SABU Schuh & Marketing GmbH eine Kompetenzstelle für E-Commerce eingerichtet?

Der stationäre Facheinzelhandel spürt mehr oder weniger stark, wie ihm der Frequenzrückgang über die Jahre hinweg zu schaffen macht. Immerhin haben sieben von zehn Konsumenten schon einmal auf den großen Online-Plattformen gekauft.

Der Multichannel-Ansatz, also der Verkauf sowohl stationär als auch online, bietet einige Vorteile: Es wird zusätzlicher Umsatz generiert, das Personal kann besser ausgelastet und die Markenvielfalt sowie die Mindestmengen bei den einzelnen Lieferanten können besser aufrechterhalten werden.

Die meisten Einzelhändler im stationären Handel haben jedoch selbst weder die Zeit noch die Erfahrung, den verschiedenen Angeboten am Markt genau auf den Zahn zu fühlen. Dazu kommt, dass viele Plattformen nur die „rote Seite“ des Apfels zeigen oder mit Planrechnungen aufwarten, die z.T. auf haarsträubenden Annahmen im Kleingedruckten beruhen.

Genau hier greift eine große Stärke des SABU: Die individuelle, neutrale und persönliche Beratung. Denn was für den einen Händler genau das Richtige ist, kann für den anderen falsch sein und für den dritten ist es am besten, sich rein auf sein stationäres Geschäft zu konzentrieren.

 

Frage 2:
Warum hat man gerade Sie zum E-Commerce-Ansprechpartner ernannt?

Vermutlich spielte dabei eine Kombination mehrerer Faktoren eine Rolle:
Der elterlichen Betrieb ist seit vielen Jahren online auf unterschiedlichen Kanälen aktiv, da profitiere ich neben Erfa-Gruppen und aktiven Händlern von sehr viel Feedback aus „erster Hand“. Zudem interessierte mich E-Commerce von der ersten Stunde an, wodurch ich immer „am Ball“ war, was die Themen und aktuelle Entwicklungen angeht. Wichtig ist natürlich auch, dass ich über meine langjährige Beratungstätigkeit die meisten SABU-Händler bereits sehr genau kenne und deshalb gut einschätzen kann. Und last but not least verfüge ich über das notwendige betriebswirtschaftliche Rüstzeug, um mit den Zahlen auch qualifiziert umgehen zu können, denn die Rentabilitätsberechnung bei E-Commerce beinhaltet ein großes Fehlerpotenzial.

 

Frage 3:
Welche Fragen werden Ihnen von den SABU-Händlern hauptsächlich gestellt?

Das lässt sich ganz gut in sechs Aspekten zusammenfassen:

  1. Welchen Umsatz(anteil) kann ich mit einem Verkaufskanal generieren?
  2. Welche Plattform ist die beste für mich?
    3. Welche Ware soll schwerpunktmäßig über einen Kanal verkauft werden?
  3. Was bleibt unter dem Strich übrig?
  4. Wie funktioniert die technische Anbindung?
  5. Wie laufen die Prozesse und wie muss ich meinen Betrieb darauf
    ausrichten?

Vor allem bei den technischen Fragen schätze ich die Unterstützung unserer Kollegen aus der Warenwirtschaft sehr.

 

Frage 4:
Wie gewinnen Sie Ihre Erfahrungen und welche Plattformen beobachten Sie?

Intensiv beobachte ich schon länger Schuhe24, Amazon und Timeline Shopping respektive www.schuhhelden.de, da es die drei am meisten genutzten Plattformen unserer Anschlussfirmen sind.

Darüber hinaus gibt es weitere spannende Optionen wie die Zalando Direktintegration „Connected Retail“, die Anbindung an Zalando via der Börse „Gaxsys“ und die Nutzung der Fremdkanäle von schuhe.de mit Hilfe der sehr funktionalen Software „Qualibet“.

Es ist zwar noch sehr früh, um konkrete Aussagen zu treffen, aber es ist sicherlich von absolutem Vorteil für die SABU-Händler, wenn eine Konkurrenz unter den Systemen besteht.Keiner hat mehr ein Monopol für die Vermittlung von Onlineumsätzen!

Natürlich gibt es auch noch viele weitere Anbieter am Markt wie Mirapodo, Ebay, Shopfair24, Rakuten, Spartoo, Check24 usw. Aber am Ende ist es auch wichtig, dass sich die Händler nicht verzetteln und gegen einen gewissen Mehrpreis kann man beispielsweise mittels Schuhe24 oder Qualibet ohnehin von den meisten wichtigen Kanälen profitieren, z.T. sogar im Ausland!

Auch beobachten wir, wie das Wachstum von Schuhe24.de Nachahmer auf den Plan ruft. Viele der großen Mittelständler, die über einen Shop mit starkem Google-Ranking verfügen und Logistik für den eigenen Onlineshop beherrschen, sind mehr oder weniger weit in der Absicht gediehen, Dritthändler an das eigene System anzubinden. Wer sich hier durchsetzen wird und wie kreativ die Prozess- und Konditionenmodelle werden, bleibt abzuwarten.

Meine Erfahrungen sammle ich natürlich ganz stur digital durch die Auswertung von Zahlen, aber noch wertvoller ist der analoge Austausch von Mensch zu Mensch.

 

Frage 5:
Was muss ein Schuhhändler grundsätzlich beachten, wenn er E-Commerce als zusätzlichen Verkaufskanal aufnehmen will?

Primär muss er natürlich rein technisch dazu in der Lage sein, d.h. er braucht ein aktuelles Warenwirtschaftssystem mit EAN-Einpflege mittels EDI-Prozessen. Bei starken Plattformen ist es zudem absolut ratsam, dass der Bestandabgleich nicht nur einmal täglich erfolgt und auch Filialen (wenn vorhanden) engmaschig angebunden sind.

Als zweites muss der Händler einschätzen, „wie groß der Hund ist, mit dem er Gassi geht“. Drei Pakete am Tag schafft man leicht „nebenher“ mit Kosten, die „eh da“ sind. Bei 30 Paketen täglich, die um 9 Uhr morgens abgeholt werden wollen, muss man sich in puncto Personal, IT und Räumlichkeiten jedoch ganz anders aufstellen. Das erzeugt auch beim Personaleinsatz echten Mehraufwand, der kalkuliert werden muss.

Das Thema Kalkulation betrifft auch den Einkauf. Bis etwa 15% Umsatzanteil ist es möglich, den Onlineumsatz als Unterstützung des stationären Handels mitlaufen zu lassen. Alles, was darüber liegt, bedarf auch beim Einkauf einer detaillierten Planung, die über das stationäre Geschäft hinausgeht, da das Angebot stationär und online ansonsten zu früh ausdünnt.

Das Thema Ware ist bei Multichannel-Aktivitäten ohnehin heikel, da sich positive und negative Aspekte schwer planbar gegenüber stehen:
Einerseits werden die LUG und die Abverkaufs-Chancen befeuert, v.a. bei modischer Ware, es entsteht grundsätzlich weniger Altware bzw. sie wird leichter liquidiert. Andererseits fehlt oft die momentan „heiße Ware“ in den Regalen, weil sie online versendet wurde oder sie wird bereits in der ersten Saison zu billig verkauft.
Außerdem muss – individuell für jedes Geschäft – genau bedacht werden, welche Marken online besonders unter Preisdruck stehen und welche Marken von den stationären Verkaufsflächen profitieren sollen. Die Angebote online und offline könnten sich ansonsten kanibalisieren.

Bei den meisten Plattformen muss man jede Bestellung bedienen und oft hat man auch keine Preishoheit mehr – damit muss man erstmal umgehen können.

 

Frage 6:
Die Angst vor der Dominanz der großen Onlinehändler geht um im deutschen Fachhandel. Ist sie Ihrer Meinung nach berechtigt?

Sicher ist, dass sich die Marktanteile zumindest mittelfristig weiter in Richtung Online verschieben werden, d.h. aber nicht, dass es für das inhabergeführte Fachgeschäft keine Zukunft mehr gibt, ganz im Gegenteil.

Jeder Trend fördert einen Gegentrend und bei dem Digitalisierungstempo, das wir gerade erleben, sehnen sich viele Menschen bewusst wieder nach Haptik, Erlebnis und sozialer Ansprache. Viele Schuhe gleichzeitig live probieren zu können, hat auch zeitliche Vorteile. Nicht jeder Konsument kann zudem Pakete ganztägig annehmen und aufgeben. Aber die großen Onlineanbieter und Logistiker tüfteln schon an vielen praktischen und innovativen Systemen der Belieferung. Auch hier wird der Druck nochmals deutlich zunehmen – andererseits sind wohl durch verstopfte Straßen und die CO2-Diskussion früher oder später auch hier Grenzen gesetzt.

Ein klar strukturierter, analog und digital modern auftretender Fachhändler mit gutem Personal, viel kreativem, kundenorientierten Service und der für ihn richtigen Dosierung im Onlineverkauf wird auch in Zukunft seine Marktberechtigung haben.

 

Frage 7:
Welchen Rat können Sie allen an E-Commerce interessierten Schuhhändlern geben?

Nicht denen hinterherlaufen, die am lautesten trommeln, sondern denen, die für einen selbst die schönste Melodie spielen.

Für den Schwerpunkt Altwarenvermarktung arbeiten wir zum Beispiel seit Jahren sehr gut mit Timeline Shopping zusammen. Die absolute Alleinstellung hier ist, dass darüber auch Ware ohne EAN-Nummer (z.B. modische Ware aus Südeuropa) verkauft werden kann und die Preisfindung nachvollziehbar und transparent erfolgt. Zudem werden Retouren gesammelt und kommen nicht täglich einzelpaarig direkt beim Händler an. Das ist ein Vorteil im Handling.

Man muss sich grundsätzlich klar darüber sein, dass ca. Dreiviertel der online generierten Umsätze unrentabel sind bzw. dabei nur „Geld gewechselt“ wird. Es kann aber unter Liquiditätsaspekten dennoch interessant sein, trotzdem E-Commerce zu betreiben.

Denn es ist grundsätzlich möglich, Schuhe online rentabel zu verkaufen, es müssen jedoch die Konditionen stimmen (Ware, Plattform und Porto). Es ist außerdem ein nicht zu unterschätzender Aufwand, die getätigten Umsätze zu analysieren: Wann wird welche Ware verkauft?  Zu welchem Preis? Wie hoch ist die Retouren-Quote? Das alles herunter gebrochen bis auf die einzelne Warengruppen-, Marken- und Artikelebene. Wer mit der Gießkanne verkauft, ohne genau hinzusehen und wer nicht schnell und häufig genug auf Angebot und Nachfrage reagiert, wird aller Voraussicht nach keinen Erfolg beim E-Commerce haben.

Schlussendlich muss sich jeder Händler bewusst sein, dass man das Thema E-Commerce nicht komplett aus der Hand geben kann. Auch bei noch so gut geschultem und unternehmerisch denkendem Personal wird E-Commerce immer ein Mehraufwand für den Inhaber/die Inhaberin bleiben. Das heißt: Wer hier selbst nicht bereit ist, die „erste Kraft“ zu spielen, konzentriert sich besser weiter auf Ware, Verkauf und Ladengestaltung in seinem stationären Geschäft, denn der Tag hat auch im digitalen Zeitalter nur 24 Stunden.