Nicht jeder Kunde tickt gleich – darin liegt eine große Herausforderung für den stationären Handel, aber auch eine Chance. Denn der Verkäufer ist in der Kundenansprache deutlich flexibler als ein Online-Shop.
Online kaufen oder im Geschäft um die Ecke – heutzutage haben Endverbraucher vielfach die Wahl. Vor diesem Hintergrund einer immer online-affineren Gesellschaft hat es der stationäre Einzelhandel bisweilen durchaus schwer, sich auf dem Markt zu positionieren. Nicht ohne Grund sind Innenstädte und stationäre Geschäfte nicht mehr so stark frequentiert wie in den Zeiten vor dem Internet. Dabei genießt der lokale Handel weiterhin einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz im World Wide Web: die Kundennähe. Um diesen Vorteil richtig ausspielen zu können, muss man die Konsumenten allerdings richtig ansprechen. Eine Möglichkeit besteht dabei darin, sich die Forschung zunutze zu machen. Das DISG-Modell kann beispielsweise helfen, Kunden besser einzuschätzen und somit im Verkaufsgespräch erfolgreicher aufzutreten.
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Betrachten, berühren, aus- und anprobieren, riechen und schmecken – im stationären Geschäft kommen Endverbraucher in den direkten Kontakt mit dem physischen Produkt. Doch damit nicht genug: Im Shop gibt es die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Erklärungen zu erhalten. Gleichzeitig wird der Besuch eines Ladens zum sozialen Erlebnis – sei es durch das gemeinsame Shopping mit Bekannten, der Familie oder Gleichgesinnten. Und auch organisatorisch ist der Einkauf im Geschäft um die Ecke in vielen Bereichen einfacher: Die Ware ist in den meisten Fällen direkt verfügbar, die Versandkosten entfallen und auch eine mögliche Mindestbestellmenge muss nicht eingehalten werden. Weitere Vorteile sind darüber hinaus der schnelle Zahlungsvorgang sowie die unkomplizierte Abwicklung von Reklamationen.
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Es sind Argumente wie diese, die dem stationären Handel auch im Jahr 2022 weiterhin zahlreiche Vorteile gegenüber rein online agierenden Stores bieten. Doch all diese Vorteile helfen nichts, wenn man die Kundschaft im Verkaufsgespräch nicht erreicht. Um dies zu erleichtern, wurden in der Forschung im Lauf der Zeit zahlreiche psychologische und soziologische Modelle entwickelt, die dabei helfen sollen, sich in Verbraucher besser hineinversetzen und somit ihre Bedürfnisse besser befriedigen zu können. Eine Möglichkeit bietet hier das DISG-Modell, eines der bekanntesten Modelle aus der Wirtschaftspsychologie.
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Was ist das DISG-Modell?
Das DISG-Modell (Dominanz, Initiative, Stetigkeit, Gewissenhaftigkeit) ist ein heute markenrechtlich geschütztes Modell, das ursprünglich auf die theoretischen Überlegungen des US-amerikanischen Psychologen William Moulton Marston zurückgeht. Dieser beschäftigte sich bereits in den 1920er-Jahren mit der Frage, warum Menschen in bestimmten Situationen gewisse Verhaltensweisen an den Tag legen. Dabei fand er heraus, dass verschiedene Faktoren und Einflüsse wie zum Beispiel die jeweilige Erziehung, der Charakter oder die persönliche Lebenserfahrung dafür sorgen, dass man sich gewisse Verhaltensmuster aneignet. Das Prinzip dahinter ist simpel: Bewährt sich eine bestimmte Verhaltensweise in einer Situation, manifestiert sich diese – und man wird sich in einer ähnlichen Situation in der Zukunft auch ähnlich verhalten.
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Prinzipiell ging Marston davon aus, dass es sowohl introvertierte als auch extrovertierte Menschen gibt, was einen wesentlichen Einfluss auf ihr Verhalten hat – etwa beim Kauf eines Produkts. Erstere möchten nicht unbedingt im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, sondern mehr für sich selbst eine Entscheidung treffen. Letztere suchen dagegen das Rampenlicht. Zudem unterschied der Forscher zwischen ziel- und menschenorientierten Personen. Ein zielorientierter Mensch ordnet alles dem Erreichen seiner Ziele unter – gegebenenfalls auch auf Kosten seiner Mitmenschen. Der menschenorientierte Charakter hingegen sucht die Harmonie mit seinen Mitmenschen und steckt dafür beim Erreichen seiner Ziele auch einmal zurück. Auf Basis dieser Idee war es schließlich der ebenfalls aus den USA stammende Psychologe John G. Geier, der in den 1970er-Jahren aus den vier Eigenschaften – extrovertiert, introvertiert, ziel- und menschenorientiert – das heute bekannte DISG-Modell entwickelte und in diesem vier Gruppen von Menschen definierte:
- extrovertiert + zielorientiert = dominant (D)
- extrovertiert + menschenorientiert = initiativ (I)
- introvertiert + menschenorientiert = stetig (S)
- introvertiert + ziel- und aufgabenorientiert = gewissenhaft (G)
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Dabei gilt, dass jeder Mensch all diese Verhaltensstile besitzt, diese jedoch immer in verschiedenen Ausprägungen vorhanden sind. Je nach Situation, Charakter und persönlichem Hintergrund kann man somit in verschiedene Stile verfallen. Das gilt auch für das Verkaufsgespräch, in dem Kunden dem Modell nach dominant, initiativ, stetig oder gewissenhaft auftreten können, wie die folgende genauere Betrachtung der verschiedenen Typen zeigt.
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Die vier Kundentypen im DISG-Modell
Fordernd und bestimmt – so lässt sich beispielsweise der dominante Typ im Verkaufsgespräch am besten beschreiben. Er will um jeden Preis sein Ziel erreichen und versucht deshalb auch, die Kontrolle im Verkaufsgespräch zu übernehmen. Dies kann sich beispielsweise darin zeigen, dass dieser Kunde bereits beim Betreten des Geschäfts direkt das Gespräch mit dem Personal sucht. Auch ist es sehr wahrscheinlich, dass dieser Typ im Vorfeld selbst sehr umfassend zum jeweiligen Produkt recherchiert hat und deshalb im Verkaufsgespräch nur eine Bestätigung für seine eigenen Erkenntnisse sucht. Er kann bisweilen ungeduldig, rechthaberisch, forsch, arrogant oder sogar aggressiv wirken, denn er will so effizient wie möglich einkaufen, dabei am liebsten noch Geld sparen und den Einkauf so schnell wie möglich mit dem bestmöglichen Ergebnis beenden.
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Der initiative Typ ist ebenfalls darauf aus, seine Mitmenschen von seinem eigenen Wissen zu überzeugen – allerdings will er dies auf freundlichem Wege erreichen. Er tritt gerne humorvoll und emotional auf und sucht den Dialog. Bei diesem ist ihm ein ausführliches Kennenlernen wichtig, denn die soziale Ebene muss für den initiativen Typ in jedem Fall stimmen. Da er auf ein angenehmes Gesprächsklima abzielt, ist dieser Typ im Verkaufsgespräch sehr umgänglich. Er kann sich aber zugleich auch sprunghaft und unentschieden verhalten, da er zwar ein Ziel verfolgt, seinen Mitmenschen allerdings nicht auf die sprichwörtlichen Füße steigen will. Technische Details sind für den initiativen Kundentyp oftmals Nebensache. Doch da er von allen „gemocht“ werden will, ist für ihn insbesondere der Image-Charakter eines Produkts sehr wichtig.
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Im Vergleich zu den extrovertierten Typen wirken die introvertierten Endverbraucher eher unsicher. Der stetige Typ legt bei der Beratung beispielsweise besonderen Wert darauf, dass er jeden Schritt im Verkaufsgespräch nachvollziehen kann. Er wird deshalb viele Fragen stellen. Auch spricht er im Vergleich zu den anderen Kundentypen sehr stark auf Referenzkäufer an. Er tritt oft ruhig auf und liebt die Sicherheit. Der stetige Kunde braucht für seine Entscheidung Bedenkzeit. Es kann durchaus vorkommen, dass er erst Rücksprache mit Bekannten oder der Familie halten will, bevor er sich für ein Produkt entscheidet. Daher ist es auch möglich, dass er den Laden erst verlassen will, um zu überlegen und in Ruhe zu entscheiden, um dann an einem anderen Tag wiederzukommen.
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Der gewissenhafte Typ verhält sich generell eher vorsichtig und geht verhältnismäßig analytisch bei seiner Kaufentscheidung vor. Er hinterfragt alle ihm zur Verfügung gestellten Informationen, um in jedem Fall die richtige Entscheidung zu treffen. Risiken will er um jeden Preis vermeiden. Letzteres macht sich beim Kauf oft als Hindernis bemerkbar, weshalb dieser Kundentyp bei der Entscheidungsfindung starke Unterstützung durch das Verkaufspersonal benötigt. Gleichzeitig wird der gewissenhafte Kunde alles noch einmal genau durchrechnen und die jeweiligen Argumente kritisch hinterfragen. Im Vergleich zum stetigen Typ ist der gewissenhafte wesentlich präziser und zielorientierter, gleichzeitig agiert er aber ebenso vorsichtig.
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Die Kundentypen im Verkaufsgespräch
Diese Unterscheidung der Verhaltensweisen der vier Typen beim Kaufvorgang zeigt bereits, warum das DISG-Modell so relevant ist. Um im Verkauf Erfolg zu haben, muss man schließlich genau wissen, wie der Kunde behandelt werden will. Dies ist davon abhängig, um welchen Verhaltenstypus es sich beim Gesprächspartner handelt. Beim dominanten Typ ist es beispielsweise hilfreich, direkt zu Beginn des Verkaufsgesprächs nach dem Grund des Einkaufs und den gewünschten Resultaten zu fragen. Er will Alternativen aufgezeigt bekommen, um dann eine eigenständige Entscheidung treffen zu können. Der Verkäufer muss hier selbstsicher und ebenfalls bestimmt auftreten. Gleichzeitig will der dominante Typ aber das Gefühl haben, dass er selbst gekauft hat und ihm nichts verkauft wird. Gerade diese dünne Linie kann schnell zu Konflikten führen: Kann sich das Verkaufspersonal nicht flexibel genug auf den von seinem eigenen Wissen zu 100 Prozent überzeugten dominanten Typ einstellen, ist eine Einigung nur schwer möglich. Prinzipiell ist es für den dominanten Typ sehr schwer, Kompromisse einzugehen.
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Beim initiativen Kunden ist es wichtig, dass man als Verkäufer von Beginn an ein angenehmes Gesprächsklima schafft – beispielsweise durch Smalltalk zu Beginn des Verkaufsgesprächs. Gleichzeitig sollte man den Endverbraucher stets in den Mittelpunkt rücken. Da der initiative Typus menschen- und beziehungsorientiert ist, sind Testimonials hier sehr hilfreich. Im Gespräch sind auch offene Fragen sinnvoll, da man diesem Typ so Raum zum Erzählen gibt. Die Krux beim initiativen Kunden ist, dass er sich im Abschluss meist eher unsicher ist und sich nur ungern festlegen will. Alternativen oder Wahlmöglichkeiten sollte man daher am Ende nicht bieten, sondern am besten nur ein Produkt beziehungsweise eine Lösung vorschlagen. Ein Tipp: Technische Details können vernachlässigt werden. Bei diesem Kunden ist es vorteilhafter, das Produkt eher auf einer emotionalen Ebene zu verkaufen.
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Ähnlich wie beim initiativen Typ bietet sich auch beim stetigen Typ ein netter Smalltalk zu Beginn des Ladenbesuchs an, um ein angenehmes Gesprächsklima zu schaffen. Zur Erinnerung: Der stetige Typ ist introvertiert und menschenorientiert. Er möchte also weniger im Mittelpunkt stehen und ist gleichzeitig weniger zielorientiert. Das heißt, dass es für ihn schwierig ist, Entscheidungen zu treffen. Im Verkaufsgespräch kommt es daher darauf an, diesem Typus Sicherheit zu geben. Man sollte daher jeden Aspekt der Kaufentscheidung beleuchten und erklären und keine Fragen offenlassen. Am Ende des Verkaufsgesprächs sollte man diesem Kunden außerdem genügend Zeit lassen, um eine Entscheidung zu treffen. Auf Druck reagiert der stetige Typ sehr negativ.
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Der gewissenhafte Kunde ist introvertiert, aber gleichzeitig sehr zielorientiert. Das bedeutet, dass er sehr analytisch vorgeht. Für den Verkäufer heißt dies, dass man seine Bedürfnisse genau erfragen muss. Ebenso sollte ein Produkt sehr genau erklärt werden – etwa im Hinblick auf die technischen Details. Auch hier ist Druck nicht der richtige Weg, um eine gute Gesprächsebene zu finden. Vielmehr sollte man sich als Lösungsanbieter für Probleme und Wünsche des Kunden präsentieren.
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Das Ergebnis in der Praxis
Extrovertiert, introvertiert, ziel- und menschenorientiert – das DISG-Modell hilft also, die Verhaltensmuster von Endverbrauchern genauer zu deuten und einzuschätzen. Gelingt dies, kann die Situation im Verkaufsgespräch deutlich besser kontrolliert werden. Denn wenn man seine Kunden richtig einzuschätzen lernt, kann man entsprechende Strategien anwenden, um diese Menschen von einem Kauf zu überzeugen. Die Konsequenz ist offensichtlich – nicht nur, weil man mit dem Wissen über die verschiedenen Kundencharaktere bessere Ergebnisse erzielen wird, sondern auch, weil man zugleich die Stärken des stationären Handels wesentlich erfolgreicher ausspielen kann. Denn wenn sich die Kundschaft gut aufgehoben und richtig angesprochen fühlt, kauft sie gerne und kommt häufig auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder in das Geschäft zurück.
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