Beratungsklau ist ein Phänomen unserer Zeit, dem entgegenzuwirken schwierig ist. Wenn man es über den Preis versucht, kann das schnell an die Rendite gehen. Eine starke Bindung zwischen Verkäufer und Kunden kann den Beratungsklau allerdings aushebeln.
Sie alle haben sicher schon eine ähnliche Situation erlebt: Sie führen ein intensives Beratungsgespräch, um den für den Kunden optimalen Laufschuh zu finden. Der Kunde scheint mit Ihrer abschließenden Empfehlung sehr zufrieden – und verlässt doch ohne zu kaufen das Geschäft. Der Verdacht drängt sich auf: Ausgerüstet mit den Informationen aus der ausführlichen Beratung wird nun im Internet beim günstigsten Anbieter bestellt.
Die durch das Internet ausgelösten tiefgreifenden Veränderungen der Geschäftsbeziehungen betreffen alle Branchen und alle Handelsstufen. Tatsächlich muss sich heute jeder – ob im Büro oder auf der Verkaufsfläche – regelmäßig die Frage stellen: Welchen Mehrwert biete ich persönlich im Vergleich zu einem automatisierten Prozess? Hier ist die Antwort meist nicht in Euro auszudrücken. Denn das, was uns als Menschen ausmacht, nämlich gegenseitige Sympathie zu erwecken und ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen, ist kaum in Zahlen zu beschreiben und wirkt vor allem langfristig. Es sind jedoch genau diese menschlichen Fähigkeiten, die loyale, tragfähige Kundenbeziehungen entstehen lassen und zu einem zunehmend wichtigen, differenzierenden Wettbewerbsfaktor im Verkauf werden. Und genau darum soll es in diesem Verkaufstraining gehen: Wie werde ich vom Verkäufer zum vertrauten Berater?
Vertrauter Berater – was bedeutet das?
Um ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, was es heißt, „vertrauter Berater“ zu sein, bitte ich Sie, Ihre eigenen geschäftlichen Beziehungen unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht haben Sie in Ihrem beruflichen Umfeld mit Lieferanten und deren Mitarbeitern oder Vertretern zu tun. Falls nicht, denken Sie an geschäftliche Kontakte im Rahmen Ihres Privatlebens: Mitarbeiter bei Ihrer Reparaturwerkstatt, Ihrem Bekleidungsgeschäft, Ihrem Restaurant etc. Überlegen Sie jetzt: Welchem Unternehmen gegenüber sind Sie loyal und zeigen sich sozusagen „immun“ gegenüber anderen – vielleicht günstigeren – Alternativen? Es werden sehr häufig die Unternehmen sein, wo es mindestens einen Mitarbeiter gibt, den Sie in der Sache für absolut kompetent halten, den Sie mögen und dem sie vertrauen. Kompetenz und Sympathie – das sind genau die beiden entscheidenden Aspekte, die einen vertrauten Berater ausmachen!
Kompetenz – die grundlegende Anforderung an einen Berater
Vertraute Berater wissen, wovon sie reden. Sie sind Experte auf ihrem Fachgebiet und auf ihr Urteil ist Verlass. Um diese Anforderung zu erfüllen, ist Disziplin gefragt. Das heißt, Sie sind gefordert, Ihr Fachwissen auf dem neuesten Stand zu halten und auch immer wieder über den Tellerrand zu schauen. Die immer kürzeren Innovationszyklen der Hersteller machen das zu einer durchaus anspruchsvollen und zeitintensiven Aufgabe. Gehen Sie hier strukturiert vor und dokumentieren Sie in einer kleinen Übersicht, die für Ihren Warenbereich relevanten Neuerungen der Hersteller. Wichtige Informationsquellen sind hier das Internet, Fachzeitschriften, Broschüren oder manchmal auch Schulungen der Hersteller. Wenn Sie die Gelegenheit dazu haben, besuchen Sie Messen – einen besseren Ort für aktiven Informationsaustausch unter Experten gibt es nicht.

Die Transparenz, die über das Internet erzeugt wird, macht es heute wichtiger als je zuvor, auch über mögliche Wettbewerbsprodukte umfassend informiert zu sein. Neben der Internetrecherche empfehle ich, auch ab und an bei potenziellen Wettbewerbern vorbeizuschauen und sich über Produkte und Services, die dort angeboten werden, persönlich zu informieren.
Überzeugende Kompetenz erlangen Sie vor allem dadurch, dass Sie eigene Erfahrungen mit den Produkten vorweisen können. Ich nenne das „Authentische Kompetenz“. Hier merkt der Kunde: Das Wissen ist nicht nur „angelesen“, sondern wurde auch praktisch überprüft. Wenn Sie den Tragekomfort des neuen Funktionsshirts selber erlebt haben, können Sie nicht nur die Produkteigenschaften kompetent aufzählen, sondern auch den erlebten Nutzen authentisch widergeben.
Kompetenz, so kann man es zusammenfassen, ist notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung, um zu einem vertrauten Berater für Ihre Kunden zu werden. Tatsächlich ist Kompetenz wohl der Aspekt, der – mit Ausnahme der „Authentischen Kompetenz“ – am ehesten auch von Computern übernommen werden kann. Widmen wir uns daher etwas ausführlicher dem zweiten Aspekt, der einen vertrauten Berater ausmacht: die Sympathie.
Kann man lernen, sympathisch zu sein?
„Die Chemie muss halt stimmen!“, heißt es häufig. Tatsächlich ist wissenschaftlich erwiesen, dass schon innerhalb der ersten drei Sekunden des Zusammentreffens ein Abgleich stattfindet: Finde ich mein Gegenüber sympathisch oder nicht? Hier spielt Freundlichkeit natürlich eine große Rolle – auch im Gesichtsausdruck. Doch selbst wenn der erste Blickkontakt nicht gleich eine große Woge der Sympathie aufwallen lässt, gibt es Möglichkeiten, Sympathie beim Gegenüber während des Verkaufsgespräches zu wecken und damit die Grundlage für ein vertrauensvolles Verhältnis zu schaffen. Voraussetzung dafür ist eine gute Kenntnis der eigenen Einstellung und Verhaltensmerkmale und ein echtes Interesse an dem Menschen gegenüber.
Schritt 1: Eigene Einstellung und Motive reflektieren
Die wichtigste Grundlage für persönlichen und beruflichen Erfolg ist, sich seiner selbst bewusst zu sein. Das heißt, die eigene Einstellung zu hinterfragen, mit der man seinen Job ausübt und anderen Menschen gegenübertritt. Folgende Reflexionsfragen können dabei im Verkauf helfen:
- Was treibt mich an? Was ist mein inneres Motiv zu verkaufen?
- Warum soll der Kunde bei mir kaufen? Würde ich von mir kaufen?
- Mit welchen Einstellungen/Glaubenssätzen gehe ich in ein Verkaufsgespräch?
Nehmen Sie sich immer mal wieder die Zeit, über diese Fragen ganz bewusst nachzudenken. Wenn sie Ihnen zu abstrakt vorkommen, reflektieren Sie nach einem besonders gut gelungenen Verkaufsgespräch: Mit welcher Einstellung sind Sie in das Gespräch gegangen? Was war ausschlaggebend für den Erfolg? Die Antworten, die Sie hier erhalten, sind eine gute Orientierung für ein bewussteres Hineintreten in neue Verkaufssituationen. Sich seiner selbst bewusst zu sein heißt aber auch, die eigenen Verhaltenspräferenzen zu kennen und die daraus resultierenden Stärken aktiv zu nutzen.
Der zweite Schritt: Eigene Verhaltenspräferenzen nutzen
Wir alle haben Vorlieben in Bezug auf bestimmte Verhaltensweisen. Dazu ein ganz konkretes Beispiel: Im Geschäft steht der verkaufsoffene Sonntag an. Für die dort geplante Verlosung im Rahmen der Tombola wird noch ein Moderator auf der Bühne gesucht. Sie finden das total spannend und melden sich sofort. Den meisten Kollegen haben Sie damit einen großen Gefallen getan; sie bleiben lieber im Hintergrund.
Eine andere Szene: Im Geschäft ist mal wieder die Inventur fällig. Während Sie das pedantische Zählen und Hantieren mit Tabellen und Übersichten einfach nur lästig (wenn auch notwendig) finden, scheint Ihr Kollege beim Jonglieren mit Zahlen und Bestandsabweichungen geradezu aufzublühen. Diese in den Beispielen beschriebenen beobachtbaren Verhaltensweisen lassen Rückschlüsse auf persönliche Verhaltens-präferenzen zu. Diese Verhaltenspräferenzen sind Teil unserer Persönlichkeit.
Es gibt verschiedene Modelle, die versuchen, eine Struktur in diese Verhaltenspräferenzen zu bringen, und dabei helfen, uns selber und andere besser zu verstehen, um damit die Qualität unserer Beziehungen zu verbessern. Das nachfolgend vorgestellte Modell greift Gedanken und Forschungen der Typenlehre nach C. G. Jung (Schweizer Psychi-ater, 1875-1961) auf. Es beschreibt vier Grundverhaltenstendenzen des Menschen, die jeder bei sich selbst und bei seinen Mitmenschen beobachten kann. Diese Tendenzen sind in zwei Dimensionen (vertikal und horizontal; siehe Grafik) angeordnet.

- „Nach außen gerichtet“ oder „Nach innen gerichtet“: Diese Dimension beschreibt, wie wir auf unsere Außenwelt zugehen. Menschen mit einer nach außen gerichteten Verhaltenspräferenz bringen sich aktiv ein, treten ohne Scheu hervor, nehmen gerne Einfluss. Menschen mit einer nach innen gerichteten Verhaltenspräferenz sind eher zurückhaltend und beobachtend.
xx - „Aufgabenorientiert“ oder „Menschenorientiert“: Diese Dimension beschreibt, wie sehr wir eher Menschen oder Aufgaben zugewandt sind. Menschen mit einer aufgabenorientierten Verhaltenspräferenz setzen sich sehr gerne mit Zahlen, Daten und Fakten auseinander. Sie suchen nicht aktiv den Austausch und die Gemeinschaft, sondern wenden sich bevorzugt Sachfragen zu. Anders Personen mit einer eher menschenorientierten Ausrichtung: Sie regen den Austausch von Ideen und Informationen mit anderen an, wirken auf andere im Vergleich zum aufgabenorientierten Typ eher verbindlich statt sachlich distanziert.
Diese beiden Dimensionen werden im Modell zusammengeführt, sodass vier mögliche Grundtypen entstehen.
Haben Sie schon darüber nachgedacht, welchem Grundtyp Sie sich am nächsten fühlen? Dann können Sie dem Modell auch entnehmen, auf welche Stärken Sie im Verkauf und beim Beziehungsaufbau setzen können. Aber: In der Regel hat jeder Mensch Anteile von mehreren Verhaltenspräferenzen – vermeiden Sie also „Schubladendenken“. Das Modell soll nur als Kompass dienen.
Es gibt keinen Grundtypen, der besser oder schlechter ist. Verkäufer jeder Verhaltenspräferenz können erfolgreich sein. Schauen wir dazu in eine andere Branche und nehmen wir als Beispiel Günther Jauch und Thomas Gottschalk – beide sehr erfolgreiche Moderatoren und Entertainer. Doch beide sind in ihren Verhaltenspräferenzen sehr unterschiedlich: Thomas Gottschalk, der nach außen gerichtete, menschenorientierte „Überzeuger“; Günther Jauch im Vergleich dazu deutlich stärker nach innen gerichtet, verbindlich und analytisch. Ihr Erfolgsgeheimnis: Beide sind sich ihrer Verhaltenspräferenzen bewusst, setzen ihre da-raus resultierenden Stärken ein, sind aber auch in der Lage, sich auf ihr jeweiliges Gegenüber einzustellen.
Das macht deutlich: Echten Erfolg im Beziehungsaufbau habe ich dann, wenn ich nicht nur meine eigenen Verhaltenspräferenzen kenne, sondern auch ein Gefühl dafür entwickle, wie mein Gegenüber „tickt“. Sind Sie zum Beispiel der „Analytiker“ und haben alle Zahlen, Daten und Fakten zur neuen Rennradschaltung im Kopf, Ihr Gegenüber ist aber eher ein menschenorientierter Typ, werden Sie mit der Auflistung technischer Details zwar viel Kompetenz demonstrieren, aber dennoch kaum in der Lage sein, eine sympathisch-menschliche Beziehung aufzubauen. Daher widmen wir uns im nächsten Schritt unserem Gegenüber, dem Kunden.
Der dritte Schritt: Mich auf mein Gegenüber einstellen
In der Regel finden wir es einfacher, mit Menschen, die uns in ihrer Verhaltenspräferenz ähnlich sind, auf eine Wellenlänge zu kommen. Oft ist man sich hier auf Anhieb sympathisch, man „tickt“ einfach gleich. Das unterstützt den Aufbau gegenseitigen Vertrauens. Sie haben das vielleicht schon erlebt: Nehmen wir an, Sie sind ein „Überzeuger“ und erzählen begeistert und mitreißend von den Erlebnissen Ihres letzten Campingurlaubs und wie Ihnen das neue Zelt trotz des Regens eine tolle Zeit ermöglicht hat. Ihr Gegenüber stimmt sofort ein, macht humorvolle Kommentare und trägt seinerseits Anekdoten des letzten Urlaubs bei. Zwei „Überzeuger“ unter sich, die schnell gemeinsam Spaß haben. Im Verkauf werden Sie nun nicht immer auf Menschen treffen, die eine ähnliche oder gleiche Verhaltenspräferenz zeigen. Wie können Sie im Verkaufsgespräch herausfinden, was für ein „Typ“ Ihnen hier gegenübersteht? Die einfache Grundregel lautet: Offene Fragen stellen und genau zuhören. Dabei spielt auch der Small Talk zu Beginn des Verkaufsgespräches eine wichtige Rolle. Hier gibt Ihr Gegenüber schon viel über sich preis, wenn Sie genau hinhören: Wird beim Mountainbike eher über technische Details gesprochen oder über Erlebnisse und Gefühle? Ist der Kunde vielleicht eher zurückhaltend mit privaten Geschichten und das „persönliche“ Gespräch endet beim Wetter, oder öffnet sich Ihr Gegenüber und kommt schnell ins Erzählen?
In der Übersicht unten erhalten Sie Hinweise, wie Sie die einzelnen Grundtypen erkennen und sich dadurch optimal auf Ihre Kunden einstellen können. Die Anwendung des Modells erfordert ein wenig Übung. Doch Sie werden schnell feststellen: Es wird Sie erfolgreich darin unterstützen, gezielt Beziehungen zu Ihren Kunden aufzubauen und von der Rolle des Verkäufers in die des vertrauten Beraters zu treten. Und der ist kaum durch Online-Services oder digitale Tools zu ersetzen.