E-Commerce trifft stationär: „Wer geschickt agiert, holt das Beste für sich heraus“

Wird E-Commerce zur Pflicht? Das sagt Peter Wagner, E-Commerce-Ansprechpartner beim SABU zur aktuellen Lage

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Peter Wagner ist Ansprechpartner für E-Commerce bei der SABU Schuh & Marketing GmbH. Seine Erfahrung hat er nicht nur aus seiner langjährigen Tätigkeit bei der Betriebsberatung des SABU gesammelt. Als Sohn einer Schuhhaus-Familie ist er im Schuhkarton aufgewachsen und bringt E-Commerce-Erfahrungen erster Hand mit. Zeit für eine Bestandsaufnahme mit ihm.

Man liest in der Presse immer wieder Sätze wie „Online wird Pflicht, stationär ist nur noch Kür“ – Wie stehen Sie dazu?

Ich finde solche Aussagen einen ziemlichen Faustschlag ins Gesicht des klassischen Fachhandels. Auch aus dem Grund heraus, dass die Aussage in dieser Form einfach nicht stimmt. Es ist nicht richtig zu suggerieren, man könne nur noch überleben, wenn man online verkauft. Vielmehr ist es eine Frage des Standorts, des Sortiments und des Fokus‘. Von der anderen Seite betrachtet, müssen die, die Onlineumsätze tätigen, erstmal beweisen, dass sie dies nachhaltig profitabel tun können. Der Großteil der Umsätze im E-Commerce ist liquiditätsgetrieben bzw. dient dem Lagerumschlag, eine gute Rendite auf Vollkostenbasis erzielen die wenigsten. Ausnahmen bestätigen die Regel und man muss in den letzten Monaten auch anmerken, dass die Händler immer genauer hinsehen, rechnen und vergleichen und sich die Ertragslage online insgesamt gebessert hat. Die besten Chancen für den typischen Händler ergeben sich immer noch aus einem klugen Multichannel-Ansatz dh. stationär ist weiterhin „Pflicht“ und wie die Ausgestaltung am besten aussehen kann, ist genau unser Ansatz in der Individualberatung.

 

Im Zuge von Corona haben sich auch immer mehr unserer Mitglieder auf Plattformen aufgeschaltet. Macht es das nicht noch schwieriger erfolgreich zu sein?

Je mehr Angebot bei großen Plattformen wie Schuhe24, Schuhe.de, Shopfair24 u.a. gebündelt ist, desto geringer ist die Gefahr des gegenseitigen Wetteiferns um den niedrigsten Preis, so wie man das gern bei Einzelanbietern auf Plattformen wie Amazon beobachtet. Somit ist schon mal ein halbwegs stabiler bzw. vernünftiger Verkaufspreis gewährleistet und auch um die Mengen muss man sich keine Sorgen machen, denn noch wächst der „Onlinekuchen“.

Natürlich kann es bei „Butterbrotartikeln“ dauern bis man zum Zuge kommt, wenn es immer mehr Anbieter werden. Das große Problem für die Profitabilität sind aber weniger die Mengen und Preise, sondern v.a. die Gebühren, die Retourenquoten und die damit verbundenen Handlingskosten.
Wer mit dem eigenen Webshop oder in einer Direktanbindung unterwegs ist, profitiert zwar im laufenden Betrieb von niedrigeren Kosten. Um relevante Mengen zu erzielen, ist ein Drehen an der Preisschraube aber oftmals unausweichlich. Der daraus resultierende Mengeneffekt motiviert manche so sehr, dass sie vergessen, dass pro Paar noch ein positiver Deckungsbeitrag bleiben sollte, weil sonst der Schuss nach hinten geht. Online werben ist die Alternative zum Preisverlust, aber auch hier begibt man sich ins Haifischbecken mit Profis und Spezialisten.

Der daraus resultierende Mengeneffekt motiviert manche so sehr, dass sie vergessen, dass pro Paar noch ein positiver Deckungsbeitrag bleiben sollte

Trotz eventueller Tücken gibt es ja gute Gründe sich anzubinden. Unter welchen Umständen würden Sie eine Anbindung empfehlen?Eine typische Situation, in der E-Commerce angebracht sein kann, ist ein frequenzschwacher Standort, wo man als Generalist eine große Auswahl vorhält und einer steten Tendenz zum Überlager ausgesetzt ist. Dann kann es sinnvoll sein, sich ein Ventil offen zu halten, online Umsätze zu generieren. Bei geringer Kundenfrequenz ist ja auch das Personal nicht immer beschäftigt  und kann so besser ausgelastet werden. Wer im Gegenzug einen guten Standort hat, wo das Personal überwiegend am Bedienen ist, sollte sich fragen, ob E-Commerce dem Geschäft wirklich zuträglich ist, denn wenn mehr Zeit für Logistikaufwand benötigt wird, leiden automatisch die Kundenzuwendung und die Pflege von Präsentation und Sortiment.

Es ist auch eine berechtigte Überlegung dank E-Commerce lokal eine spannendere Auswahl zu schaffen, indem man z.B. innerhalb einer Marke auch sehr modische, außergewöhnliche Schuhe bestellt. Bei Marken mit EDI und guter Artikelstammdatenpflege macht das Sinn, denn die können gut online gespielt werden und da bestellen die Konsumenten oftmals modischer und mutiger. Das grundsätzliche Problem ist jedoch leider, dass viele modische Marken sich noch zu wenig bemühen, dass ihre Artikel schnell und einfach „onlinefähig“ sind.

Kurzfristig kann natürlich auch ein Liquiditätsengpass ein berechtigter Antreiber sein, um E-Commerce zu betreiben. So halfen die Onlineumsätze vielen Händlern gut durch die Coronakrise. Langfristig sollte aber E-Commerce eigenständig profitabel sein und im Konzert mit dem stationären Geschäft eine win-win-Situation erzeugen.

Man sollte sich grundsätzlich beim Onlinehandel vor Augen führen, dass online ungefähr zur gleichen Zeit eine hohe Frequenz herrscht wie auch im Ladenlokal auch.

Stichwort EDI ist ja bereits einer der Fallstricke beim Thema eCommerce. Was kann noch zum Problem werden?

Die EAN oder Gtin eines Artikels ist schon so etwas wie der Generalschlüssel geworden, um überhaupt die Welt des E-Commerce zu betreten. Es gibt aber auch findige Plattformen wie z.B. Timline Shopping, die auch Ware ohne EAN-Nummern abbilden können.

EDI ist rein technisch kein Muss, aber man wird mir beipflichten, dass EANs von Excel-Listen abtippen keine Aufgabe mehr im 21 Jahrhundert sein kann.

Man sollte sich grundsätzlich beim Onlinehandel vor Augen führen, dass online ungefähr zur gleichen Zeit eine hohe Frequenz herrscht wie auch im Ladenlokal auch. D.h. in dem Moment, wo ein  Mitarbeiter freie Ressourcen hat, wird auch online nicht viel passieren. In den Hauptmonaten kann es dann aber sein, dass man kaum mit dem Ware suchen hinterherkommt, weil auch Kundschaft im Laden wartet, die eigentlich Vorrang haben sollte. Wer darauf nicht vorbereitet ist, kommt schnell in die Situation, die Fristen nicht einhalten zu können. Da fängt man sich schnell eine gelbe oder rote Karte ein und wird dann weniger bei der Verteilung der Aufträge berücksichtigt.

Auch bei der Liquiditätsplanung ist Vorsicht geboten. Bei Zalando haben beispielsweise die Endverbraucher sehr lange Zeit zu retournieren. Da können Retouren auch erst nach Wochen wieder eintreffen und die Summe der Retouren aus guten Phasen kann dann sogar die Summe der neuen Bestellungen in ruhigen Phasen übertreffen. Dann können theoretisch sogar Rückzahlungen an die Plattform fällig werden! Das erschreckt den ein oder anderen, weil er es nicht auf dem Radar hat. Aber das gehört zu dem Geschäft mit hohen Retouren dazu und da muss man einfach Geduld haben und warten bis in der neuen Saison die Bestellungen wieder anziehen.

Und letztlich läuft E-Commerce nur reibungsfrei, wenn auch „die IT“ reibungslos funktioniert – also die Warenwirtschaft, die Schnittstellen, die Bestellprozesse usw. und wer im Handel tätig ist, kann sicher ein Lied davon singen, wie oft hier der Teufel im Detail steckt.

 

Sind Regelungen wie 100 Tage Rückgabe auch aus anderer Sicht problematisch? Der Schuh könnte ja schon quasi aus der Mode sein…

Solch tolerante Rückgaberichtlinien reizen zum Glück die wenigsten vollständig aus. Man sollte aber v.a. bei Anlassware genauer hinschauen – da gibt es ja den Klassiker, dass in der Anzugstasche noch die Opernkarte steckt. Die Gefahr, dass die Ware defekt zurück kommt oder bis dahin aus der Mode ist, ist überschaubar. Das wesentlich größere Problem ist, dass interessante Ware im Hauptverkaufszeitraum dem Kunden im Geschäft oft nicht zur Verfügung steht. Das ist schlecht für die stationären Abverkaufsquoten und hier wird in der Regel immer noch mehr Geld verdient als online.

Das wesentlich größere Problem ist, dass interessante Ware im Hauptverkaufszeitraum dem Kunden im Geschäft oft nicht zur Verfügung steht.

Einige Hersteller organisieren ihre eigenen Online-Shops auch mit den Anbindungen stationärer Händler. Klingt nach einer Win-Win-Situation. Ist das so?

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn der Hersteller die Händler miteinbezieht. Ob dies direkt über die Plattform des Herstellers oder mit Hilfe eines Mittler wie z.B. Qualibet funktioniert, ist weniger relevant. Hauptsache die Vorgaben und der Verteilschlüssel sind fair strukturiert. Hier gibt es gute Beispiele im Markt.

Aber es gibt leider auch deutlich egoistischere Ansätze, wo der Händler gar nicht berücksichtigt wird, ihm vorgeschrieben wird, wo er verkaufen darf oder es Online-Shop-Exklusiv-Modelle gibt, die der Händler noch nicht mal selbst ordern kann! Solange der Hype anhält, profitieren beide, danach werden sich die Händler vermutlich erinnern, wie partnerschaftlich mit ihnen umgegangen wurde. Letztendlich darf man sich aber nichts vormachen, der Hersteller produziert die Schuhe und hat damit eine Entscheidungshoheit. Dem steht die Entscheidungshoheit der Händler am Auftragsblock gegenüber.

 

Vielleicht möchte der ein oder andere Händler lieber einen eigenen Online-Shop. Kann sich auch das lohnen?

Das Problem ist, dass man da nun etwas spät dran ist. Die Fixkosten lohnen sich nur, wenn man sie durch Bestellungen wieder reinholt. Hierzu müsste man einen völlig unbekannten Shop bei Google ganz weit nach vorne bringen. Weil bereits zu viele Fische in dem Becken schwimmen, ist das in der Regel unverhältnismäßig teuer. Wer noch einige Jahre vor sich hat, kann natürlich über einen Shop nachdenken, aber nicht unbedingt nur unter dem Aspekt Verkauf. Der Fokus kann auch durchaus auf Services wie digitales Schaufenster, Click & Collect, oder Filialtausch liegen.

Corona war kurioserweise Rückenwind für beides: E-Commerce und „back to the roots“. Wer geschickt agiert, holt aus beiden Effekten das Beste für sich heraus.

Was muss ein Händler Ihrer Meinung nach bieten, um sich in der Konkurrenzsituation zum Online-Handel stark als Mehrwert zu positionieren?

Fakt ist, wenn man aus jedem Dorf einen Hund anbietet und das auch noch in einem Umfeld mit wenig Ambiente und Service, dann kann man es dem Kunden nicht verübeln, wenn er sich anderweitig orientiert. Dann wird es auch schwer ohne E-Commerce zu bestehen, nur wird E-Commerce allein dann auch nicht mehr helfen.

Natürlich hat vor allem in kleinen Orten der Händler die Herausforderung, als zentrale Anlaufstelle ein möglichst breites Sortiment anzubieten. Dann sollte er zumindest versuchen, sich über den Mode-/Komfortgrad sowie einer Hauptpreislage klar zu positionieren. Man kann nicht auf allen Bühnen gleichzeitig tanzen und glauben mit dem immensen Online-Angebot mitzuhalten. Es muss einen typischen Charakter geben. Wenn Service und Atmosphäre stimmen, ist der Kunde durchaus weiter gewillt, dort einzukaufen, wo man sich kennt und einen vertrauten Ansprechpartner hat.

Corona war kurioserweise Rückenwind für beides: E-Commerce und „back to the roots“. Wer geschickt agiert, holt aus beiden Effekten das Beste für sich heraus.

 

Die SABU-Betriebsberatung hilft Ihnen in Person von Peter Wagner (p.wagner@sabu.de) bei Ihren E-Commerce-Potentialen weiter.

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