Digitalisierung ändert die Spielregeln

Von „See Now, Buy Now“ über virtuelle Showrooms bis hin zu überraschenden Shitstorms im Netz: die Digitalisierung ändert derzeit die Spielregeln von Industrie, Handel und Kommunikation von Grund auf.

 

 

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„Die Erwartungen der Konsumenten an die Läden, die sofortige Verfügbarkeit der Ware und die digitale Kommunikation sind rasant gestiegen. Diesen Herausforderungen passen wir uns mit Flexibilität an und schaffen im gesamten Unternehmen eine Kultur der Innovation“, sagte Daniel Grieder, CEO von Tommy Hilfiger Global und PVH Europe, am Donnerstag beim 59. Forum der TextilWirtschaft im Schwetzinger Schloss.

Die Kombination von aufwändigen, weltweit kommunizierten Show-Events, wie „Tommyland“ im vergangenen Herbst in Kalifornien, mit dem gezielten Aufbau und Einsatz erfolgreicher Markenbotschafterinnen wie dem Model Gigi Hadid habe beispielsweise zu zweistelligen Verkaufszuwächsen bei den Kollektionen geführt. „Das hat uns selbst überrascht“, sagte Grieder. Für entscheidend hält er dabei, dass der Erwartung vor allem der jüngeren Konsumenten entsprochen wurde, die bei den Schauen präsentierten Kleidungsstücke auch sofort in den Läden und online kaufen zu können. „Wir sind damit schneller als Zara und H&M, wir glauben daran – das werden wir fortsetzen.“

Grieder verwies vor rund 500 Gästen des TW-Forums aus Modeindustrie und -handel auch auf die Vorzüge der Einführung von digitalen Showrooms. Damit habe man 80% der Musterproduktion reduzieren können. Keiner der Einkäufer wolle mehr zum alten System zurück, versicherte der PVH-Manager.

Für die Konsumenten werden gleichzeitig „Stores der Zukunft“ getestet, die zu etwa einem Drittel wie bisher mit Ware, zu einem weiteren Drittel mit digitaler Technologie wie Content-Walls, über die per Touchscreen Ware ausgewählt, bestellt und gekauft werden kann, ausgestattet sind. Auch in die Entwicklung neuer Apps für mobile Verkäufe investiert das US-Unternehmen kräftig. „Das größte Risiko ist, kein Risiko einzugehen“, beschreibt Grieder den Innovationsprozess, der alle Unternehmensbereiche umfasst.

Die Umgestaltung der Stores in „Erlebnis-Räume” für den Kunden sieht auch Cate Trotter, Gründerin der Londoner Agentur „Insider Trends“, als Schlüssel für den Erfolg im stationären Handel. Bisher seien manche Läden mehr oder weniger gut funktionierende Warenlager. Das müsse sich ändern, wenn man die Kunden halten will. Die Leistungsfähigkeit beispielsweise von Smartphones entwickle sich nicht linear, sondern exponentiell. Dem müssen sich die Anbieter stellen. Der Konsument habe keine Lust mehr, lange in einer Warteschlange anzustehen, um dann zu erfahren, dass Ware nicht am Lager sei oder der Verkäufer ewig brauche, um ein Kleidungsstück in die Umkleide zu reichen. Dank Digitalisierung und Online-Handel sei er darauf auch nicht mehr angewiesen.

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Gleichzeitig schaffe der Einsatz neuer, leistungsstarker Technologie im Laden und außerhalb auch für den Händler neue Spielräume, etwa um eingesparte Zeit, Geld und Räume für intensivere Beschäftigung mit dem Kunden einzusetzen und die Effektivität der Kundenansprache zu erhöhen. Beispielsweise das digitale Maßnehmen in wenigen Sekunden, die Personalisierung von Produkten wie T-Shirts oder Schuhen oder auch Stil-Beratung und entsprechende Vorschläge als Abo-Modell tragen zur Kundengewinnung und -bindung bei.

Auch Vittorio Radice, Vice Chairman der Mailänder La Rinascente Group, sieht Warenhäuser nicht mehr als „Läden“, sondern als „Plätze“, wo die Menschen Zeit verbringen sollen und nebenbei einkaufen. „Anders als Marken-Shops können wir unsere Läden nicht umsiedeln. Sie sind Bestandteil der jeweiligen Stadt, in der sie stehen, betonte Radice. „Deshalb werden wir keine Filialen des KaDeWe  in Dubai oder Singapur eröffnen.“ Seine Warenhausgruppe, Tochter der thailändischen Central Group, hält neben der österreichischen Signa Retail die Mehrheit an der KaDeWe Group, zu der auch das Alsterhaus in Hamburg und Oberpollinger in München gehören. „Wir müssen Gebäude weiter entwickeln, genauso wie Onlinehändler ihre Websites updaten“, betont Radice. Er appellierte zudem nachdrücklich für die Sonntagsöffnung: „Wir müssen dann öffnen können, wenn die Kunden am liebsten zu uns kommen.“

Auf die drastisch geänderten Spielregeln der Kommunikation wies indes Prof. Bernhard Pörksen hin. Der Lehrstuhlinhaber für Medienwissenschaften an der Universität Tübingen warnte davor, die Wirkung von schlechter, falscher oder gar fehlender Kommunikation mit den Kunden zu unterschätzen. „Shitstorms“ in den Sozialen Medien können verheerende Auswirkungen auf das Image eines Unternehmens haben und jahrelange Arbeit in Minutenschnelle zunichte machen. Dabei gebe es eine „neue Asymmetrie zwischen Anlass und Effekt, Ursache und Wirkung.“

Insbesondere müssen sich die Verantwortlichen in Unternehmen bewusst sein, dass Kommunikation sich heute nicht mehr unterdrücken oder zensieren lasse. Im digitalen Zeitalter sei ein „weltweiter Reputationsmarkt“ entstanden, an dem sich jeder beteiligen kann. Traditionelle Medien, Nichtregierungsorganisationen und sogenannte Influencer und Empfehler verstärken diesen Effekte. Es komme mehr denn je auf Authentizität, Glaubwürdigkeit und „Autorität des Urteils“ an.

Pörksen warnt insbesondere vor einer drohenden „Empörungskommunikation“, wenn Kunden sich mit ihrem Anliegen nicht ernst genommen fühlten. Auch moralische und ethische Forderungen der Konsumenten rücken immer stärker in den Mittelpunkt der Kommunikation. Falscher Umgang mit tatsächlichen und vermeintlichen Fehlern eines Unternehmens könne selbst zum Skandal werden, wenn die Verantwortlichen falsch oder gar nicht reagieren. Der Medienwissenschaftler empfiehlt deshalb in solchen Fällen zunächst die Relevanz, mögliche Wirkung und die Berechtigung der Kritik zu klären und sich bewusst zu sein, dass man auf einer „Weltbühne“ steht. Er rät zum Dialog und zum Zuhören, den Kunden ernst zu nehmen und die Erregung zu dämpfen.

gelesen in: TextilWirtschaft Today

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